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Living Fact Sheet
Antarktis im Klimawandel
Der größte Anteil des globalen Landeises ist in der Antarktis gebunden. Sie ist fast vollständig mit Eis bedeckt, das an seiner mächtigsten Stelle fast 4.800 Meter dick ist. Auch in der Antarktis sind bereits die Auswirkungen des Klimawandels zu sehen. Würde all das Landeis dort abschmelzen, so würde der Meeresspiegel global durchschnittlich um 58 Meter ansteigen.
Geografisch lässt sich die Antarktis in drei Regionen einteilen: Die Ostantarktis, die Westantarktis und die Antarktische Halbinsel, die bisher alle verschieden auf den Klimawandel reagieren. So hat sich seit dem Jahr 2010 der Eisverlust in der Westantarktis stark beschleunigt. In der Ostantarktis dagegen zeigen sich regional sehr unterschiedliche Tendenzen. In einigen Regionen geht Eis verloren, in anderen ist die Massenbilanz positiv. Auf der Antarktischen Halbinsel wiederum wurde der Zusammenbruch ausgedehnter Eisschelfe beobachtet. Hinzu kommt das antarktische Meereis, das im Winter den Kontinent umgibt. Bei diesem wurde kürzlich erstmals ein starker Rückgang beobachtet, der allerdings noch keinem langfristigen Trend entspricht.
Ein komplettes Abschmelzen ist zwar nicht zu erwarten, trotzdem ist das Verhalten des antarktischen Eises bei einem weiteren Temperaturanstieg noch nicht gut genug verstanden, um genau zu prognostizieren, was in Zukunft passieren wird. In diesem Living Fact Sheet, das wir regelmäßig aktualisieren, bieten wir einen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung.
Grundlagen
Vor 40 bis 35 Millionen Jahren begann die Antarktis zu vereisen, nachdem sie sich durch die Bewegung der Kontinente komplett von den anderen Landmassen gelöst hatte, sich so der Zirkumpolarstrom kalten Meerwassers um die Antarktis schließen konnte und diese vom Zufluss wärmeren Wasser abschnitt. Heute sind 98 Prozent ihrer Fläche mit Eis bedeckt. 75 Prozent der antarktischen Küstenlinie sind von Eisschelfen gesäumt – schwimmende Eisplatten, die von den Gletschern und Eisströmen des Eisschildes gespeist werden. Diese Schelfeise sind neben den durch den Klimawandel steigenden Lufttemperaturen zusätzlich durch ihren direkten Kontakt mit dem Ozean auch von unten den steigenden Wassertemperaturen ausgesetzt.
Vier verschiedene Eis-Kategorien
- je nach Kategorie bisher völlig unterschiedliche Reaktionen auf den bisherigen Klimawandel
- Eisschild: ausgedehnter, mächtiger Eispanzer, auf dem Untergrund aufliegend, über Jahrtausende durch die Ansammlung von Schnee gebildet hat – Schnee verdichtet sich, wird so zu Eis, das sich unter seinem eigenen Gewicht Richtung Küste bewegt, dabei bilden sich schneller fließende Bereiche aus, sogenannte Eisströme
- Gletscher: deutlich kleinere Eisformationen, fließen ebenfalls durch ihr eigenes Gewicht talwärts
- Schelfeis: auf dem Meer schwimmende Ausläufer der Gletscher beziehungsweise Eisschilde, sind mit diesen noch in Kontakt, liegen aber nicht mehr auf dem Meeresgrund auf; mehr als 300 Eisschelfe in der Antarktis mit einer Dicke von 100 bis 1.000 Metern, an deren Rändern brechen immer wieder Eisberge ab („Kalben“)
- Meereis: gefrorenes Meerwasser, dessen Ausdehnung stark mit der Jahreszeit variiert
Reaktion auf den Klimawandel
- bisher schmilzt kaum antarktisches Eis ab, solange es auf dem Kontinent aufliegt
- durch Schneefall kommt ständig neues Eis dazu, unter Berücksichtigung des Eisabflusses deswegen sogar bis vor Kurzem Nettozuwachs beim Ostantarktischen Eisschild
- Eisschilde und Gletscher verlieren Eis durch Kontakt zum warmen Ozeanwasser an ihrer Unterseite oder durch Kalben der Eisberge, wenn sie auf dem Meer als Schelfeise schwimmen, diese Vorgänge dominieren den Masseverlust des Antarktischen Eisschildes
- Eisschelfe spielen wichtige Rolle: sie besitzen Rückhaltekräfte („buttressing“), wirken wie eine Bremse auf die Fließgeschwindigkeit der Gletscher; verringert sich Ausdehnung der Eisschelfe – etwa durch Kalbungsprozesse – kann Bremswirkung nachlassen, dies führt erhöhtem Masseverlust
- NEU: über 40 Prozent der antarktischen Schelfeise verlieren an Volumen, werden also dünner und kleiner; seit 1997 verloren von 162 Eisschelfen 71 an Masse (48 davon mehr als 30 Prozent), 62 veränderten sich nicht, 29 wuchsen; fast alle Eisschelfe in der Westantarktis betroffen, in der Ostantarktis nur wenige [0]
- NEU: Schmelzprozesse der Gletscher und Eisschilde haben möglicherweise relevante Auswirkungen auf die globale Umwälzzirkulation; rund um die Antarktis findet sich unterhalb 4.000 Metern Tiefe sauerstoff- und nährstoffreiches, kaltes, salzreiches Wasser, dass entlang der Küste durch Absinken des Wassers mit hoher Dichte gespeist wird und auf dem Meeresboden im Atlantik, Pazifik und Indischen Ozean nach Norden fließt - ähnlich den Prozessen in den arktischen Gewässern des Nordatlantiks, in dem der Golfstrom zu etwa einem Viertel bis einem Drittel durch die Umwälzzirkulation angetrieben wird (übriger Beitrag durch Winde); Eintrag von Schmelzwasser verringert die Dichte des Oberflächenwassers, das dann langsamer/nicht mehr absinken würde; zwei aktuelle Studien beschreiben nun eine Verlangsamung dieser Tiefenzirkulation: bis 2050 Abschwächung um 40 Prozent möglich, wenn Treibhausgasemissionen nicht verringert werden [0][0]; weitere aktuelle Studie sieht Abschwächung vor allem durch Änderungen der Meereisbildung aufgrund veränderter Winde [0]; auch Transport von Sauerstoff und Nährstoffen in die Ozeane aus Süden würde abgeschwächt, hätte massive Auswirkungen auf marine Nahrungsnetze
Resultierender Meeresspiegelanstieg
- künftige Entwicklungen qualitativ grundlegend unstrittig, dennoch Unsicherheiten bezüglich der quantitativen Ausprägungen
- durchschnittlicher globaler Meeresspiegelanstieg bis zu zwei Metern bis zum Jahr 2100 kann wegen dieser Unsicherheiten nicht ausgeschlossen werden
- aktuelle Prognosen sprechen von 38 bis 77 Zentimetern bis 2100
- Szenarien des Weltklimarats IPCC reichen langfristig bis zu durchschnittlichem globalen Meeresspiegelanstieg von 15 Metern bis zum Jahr 2300
Westantarktis
Die in der Summe negative Massenbilanz der Antarktis wird durch die Entwicklungen in der Westantarktis dominiert. Überwiegend liegen die Eismassen hier in Schelfeis gebunden oder auf Felsen aufliegend, die unter Meeresniveau liegen. Dieser Teil des Kontinents ist für die nächsten 100 Jahre der am stärksten gefährdete Teil des gesamten Antarktischen Eisschildes. Das Westantarktische Eisschild gilt eines der Kippelemente im Klimasystem, wobei vor allem einzelne Regionen ihren Kipppunkt überschreiten könnten – aktuell stehen da vor allem die Pine- und Thwaites-Gletscher unter Beobachtung.
Topographie des Festlandes unter der Eisdecke. Gut zu erkennen ist, dass das Gelände in vielen Regionen in Richtung Landesinnere immer weiter abfällt. Daten aus dem BEDMAP 2 Modell [0].
Stand des Wissens
- komplettes Abschmelzen des Westantarktischen Eisschildes würde zu vier bis fünf Metern durchschnittlichem globalem Meeresspiegelanstieg führen [0]
- Masseverluste nehmen deutlich zu, insbesondere nach 2010 noch einmal verstärkt
- Vergleich zwischen 1979 bis 1990 und 2009 bis 2017 zeigt: Massenverlust in der Antarktis versechsfacht [0], dominiert vom Eisverlust in der Westantarktis [0]; Eisschilde eigentlich langsame, träge Systeme, daher ist diese Dynamik enorm
- potenziell instabiler mariner Eisschild, da Eis zum größten Teil auf Untergrund unter Meeresspiegelniveau aufliegt, das Gletscherbett zum Inland hin abfällt und so einströmendes Meerwasser zu immer größeren Kontaktflächen mit dem Wasser führt und somit zu Schmelzbeschleunigung; zudem nimmt Eisabfluss vom Kontinent zum Meer zu, je dicker das Eis an der Aufsetzlinie („grounding line“), Richtung Landesinnere wird die Aufsetzlinie aufgrund der Neigung des Gletscherbettes immer tiefer, so dass die Eisdicke an der Aufsetzlinie zum Landesinneren zunimmt, damit auch der Eisabfluss, wenn die Aufsetzlinie weiter ins Landesinnere wandert
- unter RCP4.5-Szenario, das zu einem Anstieg der durchschnittlichen globalen Durchschnittstemperatur von 2,6 Grad führen würde, würde Westantarktischer Eisschild innerhalb der nächsten 500 Jahre nahezu vollständig kollabieren
- Kollaps im 21. Jahrhundert laut IPCC-Sonderbericht [0] bewertet mit "low confidence“; bei Eintreten könnte dieser abrupt und für Jahrzehnte beziehungsweise Jahrtausende unumkehrbar sein
- NEU: zwei aktuelle Studien finden bislang keine Anzeichen für einen irreversiblen, sich selbst verstärkenden Eisverlust für die gesamten Westantarktis, berechnen aber, dass ein unumkehrbarer Rückzug des Eisschildes in dieser Region bereits unter aktuellen Klimabedingungen möglich ist [0][0]
- größten Änderungen der Eismassen im Amundsensee-Sektor, in dem der Pine- und der Thwaites-Gletscher in die Amundsensee münden, die besonders betroffen sind [0][0]; Dicke des Schelfeises nimmt bis zu 20 Meter pro Jahr ab, schneller Rückzug der Aufsetzlinie [0], bis zu der der Gletscher auf dem Meeresboden aufliegt – so gelangt vermehrt wärmeres Wasser unter die Gletscher und Schelfeise, verringert deren Rückhaltekräfte („buttressing“), daraus resultiert höhere Fließgeschwindigkeit und weiterer Rückzug; zudem wirkt auch hier der oben beschriebene Effekt der mächtiger werdenden Kontaktfläche an der Aufsetzlinie bei Rückzug ins Landesinnere
- Rückgang der Eismasse auch durch Beschleunigung des Gletscherflusses aufgrund der Abnahme der Schelfeise und deren Rückstauwirkung; Schelfeise schmelzen verstärkt durch Kontakt mit wärmer werdendem Wasser an ihrer Unterseite
- es gibt Anzeichen, dass unumkehrbarer Prozess beim Thwaites-Gletscher bereits eingesetzt haben könnte [0]
- insgesamt Dynamiken so komplex, dass Beitrag des gesamten Antarktischen Eisschildes unter allen Beiträgen – zu denen auch die thermische Expansion und die Beiträge des schmelzenden Grönlandeises und der Gebirgsgletscher zählen – zum Meeresspiegelanstieg im 21. Jahrhundert am schwierigsten zu prognostizieren ist
Offene Forschungsfragen
- Welchen Beitrag leisten die Prozesse in der Westantarktis zum globale Meeresspiegelanstieg, die ein wichtiger Faktor für der Unsicherheit der Vorhersage des Meeresspiegelanstieges sind?
- Wie lassen sich gekoppelte Modelle entwickeln, welche Veränderungen des Schelfeises, des Inlandeises, des Meereises und des Ozeans zusammen abbilden können, um die Rückkopplung zwischen dem Abschmelzen des Eises und dem Erwärmen des Ozeans sowie Veränderungen in der Ozeanzirkulation besser zu verstehen – momentan werden diese Prozesse in erster Linie getrennt voneinander betrachtet?
- Wie stark wird das Kollabieren des Eises verlangsamt, wenn sich die Landmassen nach dessen Rückgang anheben und somit den Meeresspiegel lokal absenken?
Ostantarktis
Die Ostantarktis nimmt den größten Teil des antarktischen Festlandes ein. Die Temperauren sind deutlich niedriger als in anderen Teilen des Kontinents, bis zu minus 93 Grad Celsius wurden gemessen. Hier sind die weltweit mit Abstand größten Eismassen der Erde gespeichert. Das Eis liegt auf felsigem und gebirgigem Untergrund und erreicht eine maximale Dicke von 4.897 Metern. Hin zu den Küstenrändern behindern Gebirgszüge den Eisabfluss, der über Auslassgletscher und Eisströme in den Südlichen Ozean erfolgt. Lange Zeit wurde dieser Teil des südlichsten Kontinents als weniger anfällig für den Klimawandel angesehen als die Westantarktis und der Eisschild in Grönland. Allerdings gibt es inzwischen Anzeichen, dass sich auch hier Auswirkungen zeigen. In einigen Regionen wird ein Eismassenverlust registriert. Die Größe und Unzugänglichkeit der Ostantarktis erschweren es, repräsentative Messungen vor Ort durchzuführen. Satellitenfernerkundungsdaten müssen eine hohe Genauigkeit aufweisen, da sich sonst bei Massenschätzungen des gesamten Gebietes Unsicherheiten aufsummieren.
Akkumulierte Eismassenveränderung und Unsicherheitsbereich (1-Sigma-Intervall) der Antarktis und der Teilregionen Westantarktis, Ostantarktis und antarktische Halbinsel zwischen 1992 und 2017. Es ist zu erkennen, dass die insgesamt negative Massenbilanz der Antarktis durch die Entwicklungen in der Westantarktis dominiert wird. Daten aus [0].
Stand des Wissens
- komplettes Abschmelzen des Ostantarktischen Eisschildes würde zu 52,2 Metern globalem Meeresspiegelanstieg führen
- im Unterschied zur Westantarktis liegen große Teile des Eisschildes auf Grundgestein, das sich deutlich über Meeresniveau befindet, jedoch gibt es auch submarine Regionen
- auch Ostantarktischer Eisschild in Bewegung, viele seiner Eisströme enden in Schelfeisgebieten, die wie in anderen Regionen auch, den Abfluss der Gletscher bremsen („buttressing“); dünnen diese Schelfeise aus und/oder verringern ihre Ausdehnung, wird sich die Fließgeschwindigkeit der Gletscher in vielen Regionen erhöhen
- Situation nicht eindeutig und regional sehr unterschiedlich, in einigen Gebieten beschleunigte Masseverluste [0], in anderen keine Veränderung [0] oder sogar eine positive Massebilanz [0], die mit verstärktem Schneefall durch die gesteigerte Verdunstung über den Ozeanen oder mehrjährigen Klimaoszillationen wie El Niño erklärt wird
- künftige Entwicklung mit vielen Unsicherheiten belegt [0]
- Totten-Gletscher am stärksten von Massenabnahme durch beschleunigten Eisabfluss betroffen, Verlust 80 Gigatonnen pro Jahr, nach Pine- und Thwaites-Gletscher in der Westantarktis drittstärkster Abfluss des Kontinents
- ebenso in der Region Wilkesland Beschleunigung des Eisabflusses zu beobachten, könnte der Beginn irreversibler Veränderungen sein [0], Massenbilanz in Wilkesland bereits negativ
- auch in der Ostantarktis gibt es mögliche Kippelemente des Klimasystems: bei zwei bis vier Grad Erwärmung könnten subglazialen Einzugsgebiete der Ostantarktis kollabieren, bei mehr als vier Grad die gesamte Ostantarktis [0]
Offene Forschungsfragen
- Wie reagiert die Ostantarktis auf den fortschreitenden Klimawandel?
- Wie verändern sich atmosphärische Zirkulationsmuster durch den Klimawandel?
- Wie gestaltet sich die Eismassenbilanz? Wie können die Messungen verbessert werden?
- Wie wird sich der Schneeeintrag durch den Klimawandel verändern?
- Wie weit reichen die Veränderungen an den Küsten ins Landesinnere und auf welcher Zeitskala?
- Gibt es regionale Instabilitäten, die bei fortschreitender Erwärmung relevant werden?
- In welchen Regionen kommt es zur basalen Schmelze?
Antarktische Halbinsel
Die Antarktische Halbinsel nimmt eine Sonderstellung auf dem Kontinent ein. Sie ist etwa 1.200 Kilometer lang, ihre Topographie ist gebirgig und ragt bis zu 2.800 Meter in die Höhe. Ihre nördliche Spitze ragt über den südlichen Polarkreis hinaus und weist Richtung Südamerika. Hier herrscht das mildeste Klima der Antarktis: Im Sommer liegen die Temperaturen an der Küste bei 0 bis 3 Grad Celsius, im Winter bei minus 10 bis minus 20 Grad Celsius. Sie ist der klimatisch sensitivste Bereich und der Teil des Kontinents, der sich durch den Klimawandel am stärksten erwärmt. Auch hier spielen Schelfeise eine wichtige Rolle, vor allem das Larsen-Schelf-Eis. In den vergangenen Jahrzehnten wurde der komplette Zerfall mehrerer Eisschelfe beobachtet.
Stand des Wissens
- komplettes Abschmelzen des Landeises der Antarktischen Halbinsel würde zu 20 Zentimetern globalem Meeresspiegelanstieg führen
- Schelfeisgebiete dünnen aus, mehrere Eisschelfe sind komplett zerfallen
- Ende der 1980er Jahre Ausdehnung der Schelfeise in dieser Region 87.000 km² (Larsen A 3.000 km², Larsen B 12.000 km², Larsen C 50.000 km², Larsen D 22.000 km²), Ende der 2010er Jahre noch 68.000 km²
- nördlichste Region Larsen A 1995 ist innerhalb weniger Wochen zerfallen, Larsen B 2002 innerhalb von 14 Tagen nach der Bildung von Schmelzwasserseen; beide Ereignisse ungewöhnlich, da unter schneller Fragmentation, wobei Rückzug der Eisschelfe sonst durch Schmelzen beziehungsweise durch Kalbung
- 2017 brach etwa ein Achtel des Larsen C Schelfs ab, dabei entstand einer der bisher größten beobachtete Eisberge (A-68) (SMC Story dazu)
- Larsen C – viertgrößte Eisschelf der Antarktis – zerfällt schneller als meisten andere Schelfe des Kontinents
- Kollaps Larsen B vor allem durch steigende Lufttemperaturen verursacht; bei Larsen C zusätzlich Einfluss des wärmer werdenden Wasser an Eis-Unterseite relevant, deshalb werden Teile auch im antarktischen Winter künftig schmelzen, wenn Lufttemperaturen unter 0 Grad Celsius
- Rückzug beziehungsweise Verschwinden der Schelfeise ohne Beitrag zum Meeresspiegelanstieg, da sie auf dem Meer aufschwimmen; allerdings Destabilisierung der Auslassgletscher, was zu signifikanter Beschleunigung der Eisbewegung der Gletscher führt
- 87 Prozent der Gletscher der Antarktischen Halbinsel auf dem Rückzug [0][0]
- insgesamt negative Eismassenbilanz für den Zeitraum 2002 bis 2017
Offene Forschungsfragen
- Wie entwickelt sich die Region Larsen C?
- Wie verändert sich die Fließgeschwindigkeit der Auslassgletscher?
- Zeigen sich Veränderungen im südlicher gelegenen Gebiet Larsen D?
- Wie werden sich in dieser Region die Temperaturen und der Niederschlag durch den Klimawandel ändern?
- Wie lässt sich die Massenbilanz genauer bestimmen?
Antarktisches Meereis
Meereis ist gefrorenes Meerwasser, das nur wenige Jahre alt und weniger Meter mächtig ist, und unterscheidet sich somit von Eisschilden, Gletscher- und Schelfeis, die aus gefrorenem Süßwasser bestehen. Das Meereis schwimmt auf der Oberfläche des Ozeans. Anders als in der Arktis schmilzt das antarktische Meereis im Sommer fast vollständig ab, in den langjährigen Trends verhielt es sich lange Zeit ganz anders als das Meereis der Nordhalbkugel. Allerdings wurde auch in der Antarktis im Februar 2022 – also zum Ende des Sommers auf der Südhalbkugel – die bisher geringste Ausdehnung des Meereises seit Beginn der Aufzeichnungen beobachtet. Dieser Negativrekord wurde im Februar 2023 dann erneut unterboten.
Abweichung der Ausdehnung des Meereises vom langjährigen Monatsmittel (Dez 1978 bis Februar 2024). Der Jahresgang wurde rausgerechnet, da sonst aufgrund der starken Schwankung zwischen Sommer und Winter langfristige Veränderungen nicht erkannt werden könnten. In schwarz sieht man eine geglättete Kurve (gleitender Mittelwert über vier Jahre). Berechnung aus Daten von NSICD.
Stand des Wissens
- NEU: Situation 2023: auch zum Ende des antarktischen Winters Anfang September wurde Rekordminimum gemessen, zunächst Rekordminimum der Meereisbedeckung im Februar (antarktischer Sommer), seit Mitte April Eisausdehnung immer deutlicher unterhalb aller Vergleichsjahre, Meereis wächst in diesem antarktischen Winter viel langsamer als gewöhnlich, ausgedehnter Bereiche entlang der ostantarktischen Küste, vor allem Belinghausensee und Wedellmeer betroffen
- Gesamtausdehnung von 11,23 Millionen Quadratkilometern (Monatsmittel Juni 2023) über 2 Millionen Quadratkilometer geringer als im Langzeitmittel (1979 bis 2022) und 1,1 Millionen Quadratkilometer unter dem bisherigen Minimalwert aus 2022; größte bisher gemessene Abweichung der Meereisbedeckung
- komplexe Verknüpfung mehrerer Faktoren werden als Ursache diskutiert; mögliche Veränderung des Langzeittrends erst rückblickend zu beurteilen, durchaus denkbar, dass aktuell eine abrupte Änderung stattfindet
- antarktisches Meereis schmilzt im Sommer auch ohne Klimawandel weitgehend ab, weil es von den vorherrschenden Winden nach Norden in wärmere Regionen transportiert wird; nur etwa 15 Prozent überdauern von einem Jahr zum anderen (in der Arktis 40 Prozent), deswegen nur etwa einen halben Meter dick und somit deutlich dünner als arktisches Meereis (dort ein bis vier Meter)
- wegen saisonaler Variabilität ist antarktisches Meereis zudem salzhaltiger und aufgrund der Geografie im Südlichen Ozean mobiler als das Meereis in der Arktis
- auch dauerhafte Veränderungen des Meereises haben keinen direkten Einfluss auf den Meeresspiegel
- Ausdehnung zeigt insgesamt keine statistisch signifikanten, langfristigen Änderungen zwischen 1979 (Beginn der Satellitenbeobachtung) und 2020 [0][0][0]
- zwischen 2000 und 2014 Zuwachs fünfmal stärker als zwischen 1979 und 1999, nach 2014 massive Trendumkehr innerhalb weniger Jahre von Rekordwerten in 2014 auf Rekordtief in 2017; Betrachtung solch kurzer Zeiträume wegen hoher Schwankungsbreite nicht eindeutig aussagekräftig, daher unklar, ob dies Beginn einer langjährigen Abnahme [0]
- starker Rückgang nach 2014 wird untersucht, keiner der Erklärungsansätze bringt bisher Klarheit, Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren; wahrscheinlich großer Einfluss durch Abschwächung der Westwinde, die den Kontinent umkreisen: Ausdehnung des Meereises im Südlichen Ozean hängt stark davon ab, wie sehr Winde das Eis über den Ozean verteilen; anders in der Arktis, wo das Eis von den umliegenden Landmassen eingeschlossen ist und Winde nur eine begrenzte Rolle für die Eisfläche spielen; zudem möglicherweise Einfluss durch Ozeanwirbel, der sowohl Meereisabnahme [0] als auch Projektionen des Meeresspiegelanstiegs [0] verringern könnte, Effekte relativ neu in hochauflösenden Modellen
- Schmelzprozesse vor allem von unten, also durch aufsteigendes wärmeres Wasser aus größeren Tiefen; dieser Prozess in den vergangenen Jahrzehnten gestört, da Dichte des oberflächennahen Wassers stark abgenommen hat, was wiederrum verschiedene Ursachen haben kann (Einträge von kaltem, salzarmem Schmelzwasser vom antarktischen Festland; mehr Niederschläge über dem südlichen Ozean; durch höhere Temperaturen dünneres Meereis, das beim Schmelzen weniger Salz abgibt)
- fast alle Regionen der Antarktis von Rückgang betroffen, der seit 2014 dem Ausmaß der in der Arktis vergleichbar ist [0][0]
- Trend der vergangenen 40 Jahre (1979 bis 2018) immer noch leicht positiv, Ausnahmen bildet Meereis in Amundsen- und Bellingshausensee
- IPCC-Berichte weisen heutigen Modellprojektionen niedrige Vertrauenslevel zu [0][0][0], im Gegensatz zu Projektionen für arktisches Meereis, derzeit trotz Fortschritten in der Modellierung keine zuverlässige Prognose über langfristige Entwicklungen möglich [0]
Offene Forschungsfragen
- Welche Ursachen beeinflussen das Fehlen eines klaren, langfristigen Trends?
- Wie sind die starken Rückgange nach 2014 erklärbar?
- Welche Auswirkungen hat es, dass die Antarktis aus der Tiefe des Ozeans auftreibenden Wassermassen ausgesetzt ist [0], die von Norden kommend noch keine großen Veränderungen durch den Klimawandel erfahren haben, während in der Arktis von Süden kommend oberflächennahe Wassermassen strömen, die die globale Erwärmung bereits erfahren haben?
Ausgewählte wissenschaftliche Institute
Am Alfred-Wegener-Institut (AWI) arbeiten verschiedene Forschungsgruppen zu vielen verschiedenen, für die Antarktis relevanten Facetten.
Forschungsgruppen mehrerer Einrichtungen arbeiten mit Daten aus der Fernerkundung, um die Veränderungen am Eisschild, den Gletschern und dem Schelfeis zu analysieren und zu quantifizieren: am Earth Observation Center des DLR in Oberpfaffenhofen, an der Universität Nürnberg-Erlangen und an der TU Dresden – dort werden die Daten zusätzlich ergänzt durch Daten aus geodätischen Feldbeobachtungen und geophysikalischen Modellierungen.
Die Erforschung des Meereises steht im Fokus verschiedener Arbeitsgruppen am Institut für Meereskunde der Uni Hamburg.
Department-übergreifend wird am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Themenschwerpunkt „Eis, Ozeane und Meeresspiegelanstieg" unter anderem zu künftigen Entwicklungen in der Antarktis geforscht.
Datenangebote
Das Meereisportal bietet alle relevanten Daten zur aktuellen Situation und bisherigen Entwicklung des Meereises an, inklusive interaktiver Karten und Animationen. Ebenso lässt sich mit dem Sea Ice Analysis Tool des National Snow and Ice Data Center (NSIDC) der USA die Meereisbedeckung tagesaktuell verfolgen.
Die NASA präsentiert in ihrer Antarctic Iceberg Tracking Database Daten und Driftrouten aller Eisberge seit 1992.
PolarView zeigt mit aktuellen Satellitenbildern die Situation des Meereises und möglicher Eisberge. Oft genutzt von Fracht- und Kreuzfahrtschiffen, um ihre Routen zu planen.
Die Kalbungsfronten der Gletscher lassen sich mit dem Service des Earth Observation Center des DLR verfolgen.
Quantarctica bündelt geografische Daten und bietet sie kostenlos als Open Soucre Variante an.
Verschiedene Datensätze zum 'Dooms Day'-Gletscher Twaithes finden sich auf der Seite der International Thwaites Glacier Collaboration.
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